Mandanteninformation März/ April 2019

„Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt’s nicht.“ Konrad Adenauer

1. Tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis

Die tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen anderen überträgt.

Ein Berater übte seine freiberufliche Tätigkeit in einer Einzelpraxis aus, die er für einen Kaufpreis von 750.000 € an die S KG veräußerte. Gegenstand des Kaufvertrags war neben dem mobilen Praxisinventar auch der gesamte Mandantenstamm des Beraters. Er verpflichtete sich zudem, im Rahmen einer freiberuflichen befristeten Tätigkeitsvereinbarung neue Mandate für die S KG zu akquirieren und seine bisherigen sowie die neu akquirierten Mandanten im Namen und für Rechnung der S KG zu beraten.

Da der Berater seine Tätigkeit für die S KG nach zwei Jahren aufgegeben und unter Mitnahme des überwiegenden Teils seiner Mandanten wieder eine Beratungstätigkeit im Rahmen einer Einzelpraxis aufgenommen hatte, vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass der Veräußerungsgewinn als nicht begünstigter, laufender Gewinn zu erfassen sei.

Der Bundesfinanzhof bestätigte die Sichtweise des Finanzamts. Insbesondere die spätere Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit sprach gegen eine tarifbegünstigte Veräußerung. Dass dies zum Zeitpunkt der Praxisübertragung nicht geplant war, spielt keine Rolle. Maßgebend ist allein, ob es objektiv zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen gekommen ist.

(BFH, Urteil vom 21.08.2018)

2. Umsatzsteuerentstehung bei Sollbesteuerung

Grundsätzlich entsteht die Umsatzsteuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung ausgeführt wurde (Sollbesteuerung). Auf die Zahlung des Entgelts kommt es dabei nicht an. Das führt dazu, dass der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer vorfinanzieren muss, wenn er das Entgelt bis zur Fälligkeit der Umsatzsteuer noch nicht vereinnahmt hat.

Eine Spielervermittlerin, die im bezahlten Fußball tätig war, erhielt Provisionszahlungen in Raten auf die Laufzeit der Arbeitsverträge vermittelter Spieler verteilt. Es stellte sich die Frage, ob die Vermittlerin die Umsatzsteuer im Jahr der Vermittlung versteuern und damit vorfinanzieren musste, oder in den Jahren, in denen sie die Zahlungen erhielt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied, dass die Umsatzsteuer mit Ablauf des Zeitraums entsteht, auf den sich die geleisteten Zahlungen beziehen. Dienstleistungen sind im Ausgangsfall dann bewirkt, wenn sie zu aufeinanderfolgenden Abrechnungen oder Zahlungen Anlass geben. Ob das im konkreten Fall so ist, muss der Bundesfinanzhof nun prüfen. Insbesondere wird es darum gehen, ob nur eine einzelne Leistung erbracht wurde, die in Raten bezahlt wurde, oder ob bei einem prämienabhängigen Spielergehalt tatsächlich aufeinanderfolgende Leistungen vorliegen.

Hinweis: Der Entscheidung ist auch über die Spielervermittlung hinaus weitreichende Bedeutung beizumessen. Sie sollte in sämtlichen Fällen von Ratenzahlungsgeschäften beachtet werden.

(EuGH, Urteil vom 29.11.2018)

3. Für Vorsteuerzwecke zu beachten: Frist zur Zuordnungsentscheidung von gemischt genutzten Leistungen zum Unternehmen endet am 31. Juli

Bei gemischt genutzten Eingangsleistungen ist es für den Vorsteuerabzug entscheidend, in welchem Umfang eine Zuordnung zum unternehmerischen Bereich vorliegt. Nur wenn eine zumindest teilweise Zuordnung zum Unternehmensvermögen erfolgt, ist grundsätzlich der Vorsteuerabzug und in späteren Jahren gegebenenfalls eine Vorsteuerberichtigung möglich.

Ein Unternehmer hat insbesondere dann bestimmte Zuordnungswahlrechte, wenn er Gegenstände bezieht, die er teilweise unternehmerisch und teilweise nichtunternehmerisch zu verwenden beabsichtigt.

Handelt es sich bei der teilweise nichtunternehmerischen Verwendung um eine unternehmensfremde Tätigkeit (z. B. Entnahme für den privaten Bedarf des Unternehmers), hat der Unternehmer in der Regel folgende Zuordnungswahlrechte: 

  • Der Gegenstand kann insgesamt der unternehmerischen Tätigkeit zugeordnet werden.
     
  • Der Unternehmer kann den Gegenstand in vollem Umfang in seinem nichtunternehmerischen Bereich belassen. 

  • Der Gegenstand kann im Umfang der tatsächlichen (ggf. zu schätzenden) unternehmerischen Verwendung seiner unternehmerischen Tätigkeit zugeordnet werden.Für eine Zuordnung zum unternehmerischen Bereich bedarf es weiterhin mindestens einer 10 %‑igen unternehmerischen Nutzung.Wichtig ist, dass eine Zuordnungsentscheidung zum Unternehmensvermögen mit endgültiger Wirkung bis spätestens zum 31. Juli des Folgejahrs erfolgt sein muss. Die Frist gilt unabhängig von einer etwaigen verlängerten Abgabefrist für die Steuererklärung. Wird die Frist versäumt, ist im Zweifel eine spätere Zuordnung zum Unternehmensvermögen ausgeschlossen. Ein Vorsteuerabzug sowie gegebenenfalls eine Korrektur in späteren Jahren sind nicht mehr möglich.Beispiele sind hier gemischt genutzte Grundstücke, Photovoltaikanlagen oder PKW’s.Für Zuordnungen, die den Veranlagungszeitraum 2018 betreffen, muss bis zum 31. Juli 2019 eine Zuordnungsentscheidung erfolgt sein. Teilen Sie diese in Zweifelsfällen zur Sicherheit dem Finanzamt schriftlich mit. Sprechen Sie hierzu rechtzeitig Ihren Steuerberater an.
(BMF, Schreiben vom 14.12.2018)

4. Ergebnisbeteiligung bei Eintritt in eine Personengesellschaft

An einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) waren drei Gesellschafter beteiligt. Sie vereinbarten mit dem neu in die GbR eingetretenen X, dass dieser gegen Zahlung eines Kaufpreises die Beteiligung des ausscheidenden Gesellschafters A übernimmt. Mitte des Folgejahrs wurde der Gesellschafterwechsel vollzogen. Im Jahr des Gesellschafterwechsels erzielte die GbR einen Verlust. Das Finanzamt wies A und X jeweils 1/6 des Verlusts zu, während X den vollen Anteil von 1/3 begehrte.

Der Bundesfinanzhof bestätigte die von den Gesellschaftern vorgenommene Aufteilung des Verlusts. Die Ermittlung des Ergebnisses erfolgt regelmäßig für ein Kalenderjahr. Der dem einzelnen Gesellschafter zuzurechnende Anteil steht daher erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums fest. Da die Zuweisung des Ergebnisses zudem bereits vor Beginn des Geschäftsjahrs zivilrechtlich wirksam vereinbart wurde, war X 1/3 des Ergebnisses zuzurechnen.

Hinweis: Der Bundesfinanzhof weicht mit diesem Urteil von seiner bisherigen Rechtsauffassung ab, nach der das Ergebnis nur denjenigen Personen zugerechnet werden kann, die im Zeitpunkt des Zuflusses der Einnahmen oder des Abflusses von Ausgaben Gesellschafter waren.

(BFH, Urteil vom 25.09.2018)

5. Notärztliche Bereitschaftsdienste sind umsatzsteuerfrei

Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, sind umsatzsteuerfrei. Der Bundesfinanzhof musste entscheiden, ob diese Befreiung auch für den notärztlichen Bereitschaftsdienst gilt.

Im entschiedenen Fall machte ein Arzt im Rahmen seines notärztlichen Bereitschaftsdiensts bei einer Sportveranstaltung kontinuierlich Rundgänge, um frühzeitig Gefahren und gesundheitliche Probleme der Veranstaltungsgäste zu erkennen. Bei Bedarf führte er auch ärztliche Untersuchungen und Behandlungen durch.

Der Bundesfinanzhof entschied, dass der Begriff der „Heilbehandlung“ nicht besonders eng auszulegen ist. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden. Der therapeutische Zweck muss dabei im Vordergrund stehen. Vor diesem Hintergrund entschied er, dass der notärztliche Bereitschaftsdienst als Heilbehandlung zu beurteilen und somit umsatzsteuerfrei ist.

(BFH, Urteil vom 02.08.2018)

6. Vorsteuerabzug aus Anschaffungskosten für einen Ferrari bzw. Lamborghini Aventador

Eine Gesellschaft befasste sich mit der Projektentwicklung zur Energieerzeugung aus regenerativen Quellen. Zur Teilnahme an sog. „Netzwerktreffen" und um dort Verbindungen zu potenziellen Geschäftspartnern aufzubauen, erwarb die Gesellschaft im Mai 2012 einen gebrauchten Pkw des Typs Ferrari California zum Bruttokaufpreis von 182.900 €.

Nach Ansicht des Finanzamts handelte es sich bei den Anschaffungskosten für den Ferrari um nicht abziehbaren Repräsentationsaufwand. Es kürzte den Vorsteuerabzug 2012 um die Umsatzsteuer auf den Kaufpreis für den Ferrari.

Dem widersprach das Finanzgericht Hamburg. Zwar sei beim Erwerb eines Luxussportwagens grundsätzlich von einem privaten Affektionswert für seinen Nutzer auszugehen. Das Gericht war im Ergebnis jedoch davon überzeugt, dass die Anschaffung des Ferraris im entschiedenen Fall zur Eröffnung substanzieller Geschäftschancen geführt habe und nicht unangemessen war. Es ließ daher den Vorsteuerabzug zu.

Hinweis: In einem anderen Verfahren versagte das Finanzgericht Hamburg den Vorsteuerabzug aus der Anschaffung eines gebrauchten Lamborghini Aventador (Bruttokaufpreis 298.500 €) durch ein Gebäudereinigungsunternehmen. Der Unterhalt eines derartigen Fahrzeugs diene ähnlichen Zwecken wie Aufwendungen für Jagden, Segel- oder Motorjachten, weil er seiner Art nach geeignet sei, unangemessenen Repräsentationsaufwand darzustellen.

(FG Hamburg, Urteil vom 11.10.2018)

7. Verpflichtung zur Überprüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer (USt-IdNr.)

Das liefernde Unternehmen ist bei innergemeinschaftlichen Lieferungen gemäß § 6a Abs. 4 UStG verpflichtet, die Angaben des Abnehmers mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" zu prüfen.

Kommt der liefernde Unternehmer seiner Sorgfaltspflicht bezüglich der Überprüfung der Richtigkeit der USt-IdNr. nicht nach und stellt sich später heraus, dass die von dem liefernden Unternehmen angegebene USt-IdNr. des Empfängers der Lieferung nicht korrekt war, muss das liefernde Unternehmen mit empfindlichen Steuernachzahlungen rechnen. Um dieses Risiko zu vermeiden und der "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmann" nachzukommen, ist eine Überprüfung der USt-IdNr. des Empfängers der Lieferung dringend anzuraten.

Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) bietet ein Bestätigungsverfahren für die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer.

Für die Überprüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer seines Kunden in einem anderen Mitgliedsstaat der EU gibt der Unternehmer gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern seine eigene USt-IdNr. (oder ggf. Steuernummer, unter der er umsatzsteuerlich geführt wird) und die zu überprüfende, von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-IdNr. an. 

  • einfaches Bestätigungsverfahren: Das Bundeszentralamt für Steuern teilt ihm daraufhin mit, ob die angegeben USt-IdNr. zum Zeitpunkt der Anfrage in dem Mitgliedstaat, der sie erteilt hat, gültig ist oder nicht. Eine einfache Bestätigung muss zwingend vor einer qualifizierten Bestätigung durchgeführt werden.
     
  • qualifiziertes Bestätigungsverfahren: Der anfragende Unternehmer kann zusätzlich zu der zu überprüfenden USt-IdNr. auch den Firmennamen (einschließlich der Rechtsform), Firmenort, Postleitzahl und Straße mit den in der Unternehmerdatei des jeweiligen EU-Mitgliedstaates registrierten Daten übereinstimmen. Die Nutzung der einfachen und/oder der qualifizierten Bestätigung über das Internet ist kostenfrei. Es entstehen lediglich die Verbindungsentgelte Ihres Internetanbieters.Im Streitfall mit dem Finanzamt hilft nur eine qualifizierte Bestätigung der Umsatzsteuer-Identifikations-nummer, um die Erfüllung der Sorgfaltspflicht nachzuweisen. 

8. Verhinderung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet

Ab Januar 2019 sollen Betreiber elektronischer Marktplätze bestimmte Daten ihrer Händler erfassen. Außerdem besteht für die Betreiber ein Haftungsrisiko für nicht entrichtete Umsatzsteuer aus dem Handel über ihre Plattform.

Hintergrund ist, dass Händler aus Drittländern, die über Onlinemarktplätze wie Ebay oder Amazon Waren verkaufen, häufig ihren steuerlichen Pflichten in Deutschland nicht nachkommen.

Der Nachweis der erfassten Daten muss durch eine Bescheinigung über die steuerliche Erfassung des liefernden Unternehmers erfolgen. Die Bescheinigung wird auf Antrag des Unternehmers, der Waren über eine Internetplattform verkaufen möchte, vom zuständigen Finanzamt erteilt. Die Erteilung der Bescheinigung kann abgelehnt werden, wenn der Unternehmer seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht oder nicht in vollem Umfang nachgekommen ist.

Ist das der Fall, haftet ggf. der Betreiber der Internetplattform für den Steuerausfall, wenn er die Bescheinigung des Finanzamtes nicht vorlegen kann.

Hinweis: Werden Waren über eine Internetplattform wie Ebay oder Amazon verkauft, muss damit gerechnet werden, dass der Plattformbetreiber zur Vorlage einer Bescheinigung über die steuerliche Erfassung auffordert. Hier muss die Bescheinigung rechtzeitig bei dem zuständigen Finanzamt beantragt werden.

(§§ 22f und 25e UStG)

9. Umsatzsteuerliche Behandlung von Gutscheinen

Die Behandlung von Gutscheinen wurde in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie EU-einheitlich geregelt und nun vom Gesetzgeber auch in nationales Recht umgesetzt.

Kern der Problematik ist, ob beim Erwerb eines Gutscheines schon von einem Leistungsaustausch ausgegangen werden kann, der der Umsatzsteuer zu unterwerfen ist. Bisher nahm man an, dass der Erwerb eines Gutscheines bereits der Umsatzsteuer unterliegt, wenn dieser eine konkrete Sache bezeichnet, beispielsweise einen Gutschein für den Eintritt in ein Schwimmbad oder ähnliches. Lautete der Gutschein lediglich über einen Geldbetrag, lag ein Leistungsaustausch erst dann vor, wenn der Gutschein für den Bezug einer konkreten Sache oder Dienstleistung eingelöst wurde. Hieran hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Zukünftig kommt es für die Abgrenzung darauf an, ob bei der Ausstellung des Gutscheines der Leistungsort und die geschuldete Steuer schon feststehen. Das Gesetz unterscheidet zwischen Einzweck- und Mehrzweckgutscheinen.

(§ 3 Abs. 13, 14 und 15 UStG)

10. Seit 1. Januar 2019: Steuerlicher Rückenwind bei Fahrten mit dem Dienstfahrrad sowie für dienstliche Elektro- und Hybridfahrzeuge

Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber ein Dienstfahrrad zur Verfügung gestellt bekommen, können sich seit 1. Januar 2019 besonders freuen. Der geldwerte Vorteil aus der Überlassung eines Fahrrads oder Elektrofahrrads ist nunmehr steuerfrei. Voraussetzungen hierfür sind, dass der Arbeitgeber den Vorteil zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt und das Elektrofahrrad verkehrsrechtlich nicht als Kraftfahrzeug einzuordnen ist, z. B. weil der Motor auch Geschwindigkeiten über 25 km/h unterstützt.

Mit der gesetzlichen Neuregelung soll das umweltfreundliche Engagement von Radfahrern und deren Arbeitgebern, die die private Nutzung sowie die Nutzung für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte und für Familienheimfahrten für ihre Arbeitnehmer unentgeltlich oder verbilligt ermöglichen, honoriert werden.

Hinweis: Auch bezüglich der Begünstigung von Elektro- und Hybridelektrofahrzeugen bei der Dienstwagenbesteuerung gibt es seit Jahresbeginn eine gesetzliche Änderung. Diese müssen im Rahmen der Berechnung des geldwerten Vorteils nur noch mit der Hälfte des Neuwagenpreises angesetzt werden. Die Begünstigung gilt für Anschaffungen vor dem 1. Januar 2022.

(§ 3 Nr. 37 EStG)

11. Arbeitsunfall durch Sturz in der eigenen Wohnung auf dem Weg zum Homeoffice

Ein Sturz auf der Kellertreppe innerhalb der Wohnung kann ein Arbeitsunfall sein, wenn sich die Wohnung des Versicherten und die Arbeitsstätte im selben Haus befinden und der Betriebsweg ‑ hier die Kellertreppe ‑ in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird.

Eine Key-Account-Managerin verletzte sich beim Sturz auf ihrer Kellertreppe, als sie innerhalb der Kernarbeitszeit von einer Messe kommend in ihr Homeoffice ging, um einen potenziellen Kunden anzurufen.

Das Bundessozialgericht entschied, dass die an der Außentür des Wohnhauses orientierte Grenzziehung für Betriebswege nicht greift, wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte im selben Haus befinden und die objektiven Umstände des Einzelfalls auf die Handlungstendenz des Versicherten hinweisen, eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben zu wollen.

(BSG, Urteil vom 27.11.2018)

12. Keine Lohnzuschläge für Zeiten, in denen Überstunden abgebaut werden

Arbeitnehmer können durch vertragsgemäßen Abbau von Überstunden auch dann keine Ansprüche auf Lohnzuschläge begründen, wenn die Stunden, für die sie freigestellt werden, in einem Schichtplan auf zuschlagsbegründende Zeiten wie Samstage, Sonntage, Feiertage oder Nachtstunden entfallen.

Ein Fluglotse arbeitete normalerweise nur an den Arbeitstagen von Montag bis Freitag. Es war aber auch eine Verteilung der Arbeitszeit auf Samstage, Sonntage und Feiertage zulässig. Beginn und Ende der Arbeitszeit wurde durch Schichtpläne geregelt. Zudem wurde für ihn ein Arbeitszeitkonto geführt. Nachdem dem Fluglotsen im Schichtplan Dienste für Samstage und Sonntage zugewiesen worden waren, beantragte er, in diesen Zeiten Überstunden abbauen zu dürfen. Der Arbeitgeber genehmigte den Antrag und zahlte dem Fluglotsen für die Zeiten des Überstundenabbaus den normalen Lohn. Der Fluglotse hingegen verlangte zusätzlich die Zuschläge, die bei Arbeit in diesen Zeiten fällig gewesen wären.

Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass keine Rechtsgrundlage für derartige Ansprüche bestand, weil der Fluglotse in den zuschlagsbegründenden Zeiten tatsächlich nicht gearbeitet hatte. Im Arbeitsverhältnis gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“. Einen allgemeinen Entgeltfortzahlungsanspruch ohne gesetzliche oder (tarif‑)vertragliche Regelung gibt es nicht.

(BAG, Urteil vom 19.09.2018)

13. Bescheinigung des Großbuchstaben M

Arbeitgeber, welche ihren Arbeitnehmer anlässlich oder während einer beruflichen Auswärtstätigkeit oder im Rahmen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung eine Mahlzeit mit einem Wert bis zu EUR 60,00 unentgeltlich bzw. verbilligt zur Verfügung gestellt haben, sind verpflichtet, auf der Lohnsteuerbescheinigung der betroffenen Arbeitnehmer den „Großbuchstaben M“ zu bescheinigen. Dies gilt auch, wenn die Mahlzeit auf Veranlassung des Arbeitgebers von einem Dritten zur Verfügung gestellt wurde.

Hintergrund ist, dass Arbeitnehmer Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten in ihrer Einkommensteuererklärung geltend machen können, wenn diese auswärtig beruflich tätig waren oder eine doppelte Haushaltsführung begründet haben. Die als Werbungskosten abzugsfähigen Verpflegungspauschalen sind zu kürzen, wenn dem Arbeitnehmer während der Auswärtstätigkeit, auf Veranlassung des Arbeitgebers, Mahlzeiten zur Verfügung gestellt wurden. Damit dieser Sachverhalt bei der Einkommensteuerveranlagung der Arbeitnehmer erkennbar ist, fordert der Gesetzgeber die entsprechende Bescheinigung seitens des Arbeitgebers.

Nach einer Übergangsregelung konnte auf Antrag beim zuständigen Finanzamt auf den Ausweis und die Aufzeichnung im Lohnkonto verzichtet werden, wenn sich die Mahlzeitengestellung aus der Reisekostenabrechnung ergibt. Diese Vereinfachungsregelung wurde bis zum 31. Dezember 2018 verlängert. Seit dem 1. Januar 2019 müssen dann alle Arbeitgeber eine Mahlzeitengestellung durch die Angabe des Großbuchstabens „M“ in der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung bescheinigen.

Hinweis: In den Fällen, in denen ein entsprechender Antrag nicht gestellt oder vom Finanzamt abgelehnt wurde, musste der Großbuchstabe M bereits in der Lohnsteuerbescheinigung für 2018 asgegeben werden.

14. Ausweitung der Gleitzone

Ziel des Gesetzes über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz) ist das Rentenniveau und den Rentenversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2025 stabil zu halten.

Mit dem Gesetz wurde zudem die Obergrenze der Gleitzone zum 1. Juli 2019 von EUR 850,00 auf EUR 1.300,00 ausgeweitet. Beschäftigte, die mehr als EUR 450,00, aber zukünftig weniger als EUR 1.300,01 verdienen (sog. Midijobber), zahlen nicht den vollen Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung. Bei Überschreiten der EUR 450,00-Grenze werden die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung bis zur Obergrenze der Gleitzone schrittweise angehoben. Dabei ist sichergestellt, dass die geringeren Rentenversicherungsbeiträge im Einstiegsbereich ab 1. Juli 2019 aus der verminderten Beitragsbemessungsgrundlage nicht zu geringeren Rentenansprüchen führen.

15. Aufwendungen für Herrenabende können gemischt veranlasst sein und damit zum Abzug berechtigen

Lädt ein Unternehmer zu einer Veranstaltung ein, auf der die Gäste bewirtet und ggf. durch besondere Programmpunkte unterhalten werden, stellt sich oft die Frage, ob die Aufwendungen beruflich, privat oder gemischt veranlasst sind. Eine ausschließlich berufliche Veranlassung berechtigt den Unternehmer, die gesamten Aufwendungen steuermindernd geltend zu machen. Bei privater Veranlassung besteht diese Möglichkeit nicht.

Das Finanzgericht Düsseldorf musste über die Aufwendungen einer Anwaltskanzlei für jährlich stattfindende Herrenabende entscheiden. Die Kanzlei hatte die gesamten Aufwendungen als Betriebsausgaben abgezogen, weil sie nach ihren Angaben mit diesen Veranstaltungen den Mandantenstamm festigen bzw. erweitern wollte. Die Veranstaltungen, zu denen ausschließlich Männer aus den Bereichen Mandantschaft, Geschäftsfreunde und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingeladen waren, fanden im Garten des Hauses eines Partners der Kanzlei statt.

Da den Gästen weder ein besonderes qualitatives Ambiente noch ein besonderes Unterhaltungsprogramm geboten wurde, greift ein steuerliches Abzugsverbot nicht. Das Gericht sah die Aufwendungen für die Herrenabende allerdings als gemischt veranlasst an, da u. a. auch Gäste aus dem privaten Umfeld der Rechtsanwaltspartner teilnahmen. Daher ließ es nur 50 % der Aufwendungen zum Abzug zu.

Der Bundesfinanzhof muss möglicherweise abschließend entscheiden.

(FG Düsseldorf, Urteil vom 31.07.2018)

16. Abzug nicht anerkannter Heilmethoden

Die Vorlage eines knappen amtsärztlichen Attests kann ausreichen, um Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethoden als außergewöhnliche Belastung abzuziehen.

Hintergrund: Die Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel wird i. d. R. durch eine Verordnung eines Arztes nachgewiesen. Seit 2011 ist bei bestimmten Maßnahmen der Nachweis der Zwangsläufigkeit in qualifizierter Form zu führen, und zwar „durch ein amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung“ (u. a. bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden). Der Nachweis muss vor Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein.

Sachverhalt: Die Kläger ließen ab Februar 2011 ihre seit ihrer Geburt schwerbehinderte Tochter in einem von zwei Heilpraktikern betriebenen Naturheilzentrum behandeln. Nachdem die Krankenkasse eine Erstattung der Kosten (16.800 €) abgelehnt hatte, machten die Kläger die Aufwendungen im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastung geltend und legten ein privatärztliches Attest einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde (Homöopathie) vor. Diese kam zu dem Ergebnis, dass bei dem schweren Krankheitsbild jeder Versuch, das Ergebnis zu verbessern, für die Familie wichtig und auch medizinisch jeder positive Impuls für das Kind zu begrüßen sei, weshalb sie auch ärztlich die Teilnahme am Förderprogramm des Naturheilzentrums empfehle. Auf diesem Attest hatte der zuständige Amtsarzt vermerkt: „Die Angaben werden amtsärztlich bestätigt“.

Das beklagte Finanzamt erkannte die Behandlungskosten mit der Begründung nicht an, dass die knappe Äußerung des Amtsarztes kein „amtsärztliches Gutachten“ darstelle.

Entscheidung: Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg: 

  • Die Tochter der Kläger ist mit wissenschaftlich nicht anerkannten Methoden behandelt worden, so dass der Nachweis der Zwangsläufigkeit in qualifizierter Form geführt werden musste.
     
  • Diese Anforderungen waren im Streitfall erfüllt: Zwar wird für den Nachweis u. a. ein „amtsärztliches Gutachten“ verlangt. Jedoch wird nicht nur den Amtsarzt, sondern in gleicher Weise auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung ermächtigt, die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen bei unkonventionellen Behandlungsmethoden zu bestätigen. Und dieser muss lediglich eine „ärztliche Bescheinigung“ ausstellen.
     
  • Vor diesem Hintergrund sind an das „Gutachten“ des Amtsarztes keine höheren Anforderungen als an eine „Bescheinigung“ der Krankenversicherung zu stellen.
(FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 04.07.2018)